Verwandtenunterstützung - allgemeine Ausführungen

Rechtsgrundlagen

Erläuterungen

1. Allgemeines

Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe besteht, wenn jemand aus eigenen Mitteln für seinen Lebensunterhalt nicht rechtzeitig aufkommen kann. Demnach müssen Bedürftige unabhängig von den finanziellen Verhältnissen ihrer Verwandten durch die Sozialhilfe unterstützt werden. Erhalten Bedürftige hingegen bereits Leistungen von ihren Verwandten, so sind diese selbstverständlich im Rahmen der eigenen Mittel anzurechnen.

Die Verwandtenunterstützungspflicht ist von der ehelichen und der (normalerweise nur bis zur Volljährigkeit dauernden) elterlichen Unterhaltspflicht zu unterscheiden. Die Unterhaltspflicht nach Art. 163 - 165 ZGB bzw. Art. 276 ff. ZGB geht der Verwandtenunterstützungspflicht vor und ist von den Sozialbehörden auf jeden Fall zu berücksichtigen.

2. Zuständigkeit

Nach 154 Abs. 3 SG prüft der Kanton, ob Verwandte gemäss Art. 328 ZGB und Art. 329 ZGB zur Unterstützung der Hilfe suchenden Person verpflichtet sind. Der Kanton setzt die entsprechenden Ansprüche durch, indem er mit pflichtigen Personen eine Vereinbarung trifft oder die erforderlichen zivilprozessualen Massnahmen ergreift. Die Sozialregionen sind für die Prüfung und den Vollzug der Verwandtenunterstützung nicht zuständig.

3. Unterstützungspflichtige Personen

Die Verwandtenunterstützungspflicht betrifft Verwandte in auf- und absteigender (gerader) Linie, also Grosseltern, Eltern, Kinder etc. Fehlen Verwandte ersten Grades werden die Daten der Verwandten zweiten Grades (Grosseltern und Grosskinder) überprüft.

Nicht unterstützungspflichtig sind demnach Verwandte in der Seitenlinie (Geschwister, Tanten und Onkel etc.), Stiefeltern und Stiefkinder sowie Verschwägerte (Schwiegereltern, Schwiegerkinder).

Seit Inkrafttreten der Revision des Kindesunterhaltsrechts per 1. Januar 2017 besteht sodann auch keine Verwandtenunterstützungspflicht mehr, wenn die bedürftige Person in Not geraten ist, weil sie eigene Kinder betreut und daher nicht oder nur in begrenztem Umfang erwerbstätig sein kann (Art. 329 Abs. 1bis ZGB). Wer alleinerziehend ist, kann von seinen Verwandten also keine Unterstützung mehr einfordern, sofern die Bedürftigkeit auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht. Hingegen kann das Kind nach wie vor eine Unterstützung durch seine Grosseltern verlangen, wenn die Voraussetzungen für eine Verwandtenunterstützungspflicht erfüllt sind.

Sind mehrere in Frage kommende Verwandte vorhanden, so sind primär die Nachkommen heranzuziehen. Unter Verwandten gleichen Grades (z.B. mündige Kinder) besteht eine (nach ihren Verhältnissen) anteilmässige Verpflichtung. Erscheint die Heranziehung eines oder einer Pflichtigen wegen besonderer (sich auf das Verhältnis zum bzw. zur Bedürftigen beziehenden) Umstände als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben (z.B. bei schwerer Verletzung von familienrechtlichen Pflichten durch die Begünstigten; Art. 329 Abs. 2 ZGB).

4. Notlage

Anspruch auf Verwandtenunterstützung hat, wer ohne diesen Beistand in Not geraten würde (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Eine Ausnahme besteht wie vorstehend erwähnt, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht (Art. 329 Abs. 1bis ZGB).

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung befindet sich in einer Notlage im Sinne dieser Bestimmung, wer sich das zum Lebensunterhalt Notwendige nicht mehr aus eigener Kraft verschaffen kann (BGE 121 III 441 E. 3 S. 442). Der Unterstützungsanspruch geht in der Regel auf die Verschaffung von Nahrung, Kleidung, Wohnung sowie ärztlicher Betreuung und Heilmitteln bei Krankheit (BGE 132 III 97 E. 2.2), aber auch auf Beschaffung der Mittel, welche zur Deckung der Kosten des Aufenthalts und der Behandlung Suchtabhängiger in einer Anstalt nötig sind (Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenunterstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 49).

5. Günstige Verhältnisse

Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB sind nur Verwandte unterstützungspflichtig, die in günstigen Verhältnissen leben. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung lebt in günstigen Verhältnissen, wem aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation eine wohlhabende Lebensführung möglich ist, bzw. wenn die Unterstützungsbeiträge ohne wesentliche Beeinträchtigung einer wohlhabenden Lebensführung aufgebracht werden können. Massgebende Bemessungsgrundlage ist das steuerbare Einkommen gemäss Bundessteuer zuzüglich Vermögensverzehr. Indirekt können die finanziellen Verhältnisse des Ehepartners der unterstützungspflichtigen Person im Rahmen der ehelichen Beistandspflicht berücksichtigt werden. Das gemeinsame Einkommen der Eheleute (inkl. Vermögensverzehr) wird der Pauschale für Verheiratete gegenübergestellt. In der Folge wird der Überschuss durch zwei geteilt. Von der Hälfte, die auf den pflichtigen Verwandten entfällt, kann wiederum maximal die Hälfte (also ein Viertel des Überschusses) als Verwandtenunterstützung berücksichtigt werden.

In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypothekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsauslagen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Ferien, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc.; in diesem Sinne schon BGE 82 II 197 E. 2 S. 199), d.h. wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann (Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007, E. 3.2.3). Massgeblich für die Beurteilung dieser Gesamtsituation ist nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen. Ein Anspruch auf dessen ungeschmälerte Erhaltung besteht nur dann, wenn die Unterstützung das eigene Auskommen des Pflichtigen schon in naher Zukunft gefährdet (BGE 132 III 97 E. 3.2). Zu berücksichtigen sind ferner auch die verwandtschaftlichen Beziehungen (Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007 E. 3.2.3). Insgesamt sind alle sachlich wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden (BGE 132 III 97 E. 1).

Sonderregelungen Asyl

Keine.

Rechtsprechung

Urteil des Bundesgerichts 5A_291/2009 vom 28. August 2009: Im vorliegenden Einzelfall geht es - anders als in den meisten Fällen, welche das Bundesgericht in der letzten Zeit zu beurteilen hatte - nicht um dauerhafte Unterstützungsleistungen, wie sie insbesondere bei der Altersunterstützung im Zusammenhang mit einer Langzeitpflege typisch sind, sondern im Wesentlichen um die einmaligen Kosten für eine Entwöhnungstherapie. In dieser konkreten Situation ist es keine den besonderen Verhältnissen und der finanziellen Gesamtsituation angepasste Lösung, wenn für eine einmalige Unterstützungsleistung das Vermögen in Anwendung der SKOS-Richtlinien auf ein Dauereinkommen umgerechnet wird. Dass die gewählte Vorgehensweise für die einmalige Unterstützungsleistung unsachgemäss ist, zeigt sich insbesondere im Umstand, dass das auf der Basis des um die verlangte Unterstützung verminderten Vermögens berechnete Einkommen praktisch unverändert bliebe und sich insofern nicht sagen lässt, zufolge der Unterstützung könne sich der Beschwerdeführer seine angestammte Lebensführung nicht mehr leisten. Das Kantonsgericht hat, indem es einfach das Vermögen auf ein Dauereinkommen umgerechnet hat, unbekümmert um die für die Verwandtenunterstützungspflicht geltende Untersuchungsmaxime (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 280 Abs. 2 ZGB) keine näheren Sachverhaltsfeststellungen getroffen, ob dem Beschwerdegegner aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben möglich ist und ob diese Lebensführung mit der Zahlung des einmaligen Betrages von Fr. 35'410.90 beeinträchtigt wäre. Zumal ohnehin weitere Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind, welche das Kantonsgericht ausdrücklich offengelassen und zu denen es insbesondere auch keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat (namentlich Unbilligkeitsgründe), ist die Sache deshalb zur Sachverhaltsergänzung und neuen Entscheidung im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 5).

Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007: In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypo­thekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsauslagen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Ferien, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc; in diesem Sinne schon BGE 82 II 197 E. 2 S. 199), d.h. wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann. Ob sich finanziell gutgestellte Personen auch tatsächlich einen aufwändigen Lebensstil gönnen oder ob sie sich mit einer bescheidenen Lebenshaltung begnügen, macht schliesslich für die Beurteilung der günstigen Verhältnisse keinen Unterschied (E. 3.2.3).

BGE 133 III 507: Mit Bezug auf die Kosten des Aufenthalts und der Behandlung Suchtabhängiger ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Notlage vorliegt, nicht massgebend, ob die für die Behandlung der Betroffenen gewählte Einrichtung der kantonalen Sozialhilfegesetzgebung entspricht; nicht von Bedeutung ist ferner, dass das nunmehr gegen die unterstützungspflichtigen Verwandten klagende Gemeinwesen gestützt auf die kantonale Sozialhilfegesetzgebung die Behandlungskosten eines nach Art. 328 ZGB Unterstützungsberechtigten getragen hat. Eine Notlage im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn kein dem Behandlungsbedürfnis des Suchtkranken entsprechendes und anerkanntes Angebot an Behandlungsanstalten besteht, dessen Kosten vom obligatorischen Krankenversicherer getragen werden; ebenso dürfte sie zu bejahen sein, wenn zwar eine solche Einrichtung besteht, die entsprechenden Kosten aber vom obligatorischen Krankenversicherer - etwa aufgrund eines Selbstbehalts des Versicherten - nicht voll übernommen werden (E. 5.1). Die Beweislast dafür, dass eine Notlage vorliegt, die einen Anspruch aus Art. 328 ZGB begründet, obliegt dem Ansprecher (BGE 60 II 266 E. 4 S. 268; KUMMER, Berner Kommentar, N. 148 zu Art. 8 ZGB; KOLLER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 3. Aufl. 2006, N. 13 zu Art. 328/329 ZGB; ALBERT BANZER, Die Verwandtenunterstützungspflicht nach Art. 328/329 ZGB, Diss. Zürich 1979, S. 196; WIDMER, a.a.O., S. 54). Klagt das Gemeinwesen, welches aufgrund erbrachter Leistungen kraft gesetzlicher Subrogation in die Rechte des Ansprechers eingetreten ist (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB), obliegt ihm der Beweis der Notlage (E. 5.2).

BGE 132 III 97: Art. 328 f. ZGB; Verwandtenunterstützung und Sozialhilfe. Der kantonale Entscheid über die Unterstützungspflicht von Verwandten beruht auf Ermessen (E. 1). Die Verwandtenunterstützung geht nicht weiter als die Sozialhilfe, muss aber mindestens den nach betreibungsrechtlichen Regeln ermittelten Notbedarf gewährleisten (E. 2). Zur Leistung von Unterstützung hat der pflichtige Verwandte sein Vermögen anzugreifen, soweit es nicht längerfristig zur Sicherung seiner weiteren Existenz, namentlich im Hinblick auf das Alter unangetastet bleiben muss (E. 3).

VB.2005.00267: Die familienrechtliche Unterstützung geht der öffentlich-rechtlichen vor (vgl. Art. 293 Abs. 1 ZGB; Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. A., Bern 1999, S. 239). Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden. Der Anspruch ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen (Art. 329 Abs. 1, 1. Halbsatz ZGB). Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruchs auf das Gemeinwesen finden entsprechende Anwendung (Art. 329 Abs. 3 ZGB). Es entspricht der gegenseitig geschuldeten Rücksicht zwischen Eltern und Kindern im Sinne von Art. 272 ZGB, dass Unterhaltsansprüche zuerst auf dem Verhandlungsweg geltend gemacht werden. Dies gilt auch im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht (Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenunterstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 53). Ist es jedoch notwendig den Unterstützungsanspruch auf dem Klageweg geltend zu machen, so steht die Klage dem Unterstützungsbedürftigen zu und richtet sich gegen den Unterstützungspflichtigen (Art. 329 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 279 Abs. 1 ZGB; E. 2.1).

Anmerkung:

Im vorliegenden Fall hat die Sozialbehörde keine Unterstützungszahlungen geleistet, der Anspruch auf Verwandtenunterstützung ging also nicht auf sie über.

BGE 121 III 441: Art. 328 Abs. 1 ZGB; Begriff der Notlage. In einer Notlage im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB befindet sich, wer sich das zum Lebensunterhalt Notwendige nicht aus eigener Kraft verschaffen kann. Dies ist der Fall, wenn jemand nicht arbeitsfähig ist oder keine Erwerbsmöglichkeit hat bzw. wenn ihm eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten ist. Einer ledigen Mutter ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die erste Zeit nach der Geburt, solange ein Kleinkind einer persönlichen Betreuung bedarf, nicht zuzumuten (E. 3).