Strafanzeigen wegen unrechtmässigem Sozialhilfebezug
Rechtsgrundlagen
Erläuterungen
1. Allgemeines
Bei Vorliegen eines unrechtmässigen Sozialhilfebezuges stellt sich die Frage, ob eine Strafanzeige einzureichen ist. Hierzu muss der Sachverhalt genau abgeklärt werden.
Die Behörden und Angestellten des Kantons und der Gemeinden sind gemäss § 20 Abs. 1 EG StPO zur Mitteilung an die Staatsanwaltschaft berechtigt, aber nicht verpflichtet, wenn ihnen in ihrer amtlichen Tätigkeit konkrete Verdachtsgründe für ein von Amtes wegen zu verfolgendes Verbrechen oder Vergehen bekannt werden. Es besteht entsprechend generell keine Anzeigepflicht, sondern lediglich ein Anzeigerecht. Im Sozialgesetz bestehen diesbezüglich keine Regelungen. Angestellte der Sozialregionen haben lediglich ein Anzeigerecht, wenn ein konkreter Verdacht auf Betrug oder unrechtmässigen Bezug im Bereich der Sozialhilfe vorliegt. Wichtig ist die Unterscheidung, ob es sich um ungerechtfertigte Bereicherung oder strafrechtlich relevanten, gezielten Betrug oder unrechtmässigen Bezug handelt.
Nicht dazu gehören Verstösse gegen die Schadensminderungs- und Mitwirkungspflicht oder die Zweckentfremdung von Sozialhilfeleistungen. Ein Anfangsverdacht reicht nicht für eine Strafanzeige. Die Abklärungen des Sachverhaltes müssen den Verdacht des strafbaren Verhaltens ausreichend erhärtet haben.
Hinweis betreffend ausländische Personen: Am 28. November 2010 wurde die Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer» angenommen. Dadurch trat am 1. Oktober 2016 Art. 148a StGB als neue Strafbestimmung in Kraft, die unrechtmässigen Sozialhilfebezug unter Strafe stellt. Neu wurden Art. 121 Abs. 3-6 in der Bundesverfassung ergänzt, wonach ausländische Personen ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder missbräuchliche Leistungen der Sozialhilfe oder andere Sozialversicherungen bezogen haben.
2. Straftatbestände
Für eine allfällige Strafanzeige stehen drei Straftatbestände im Vordergrund:
Betrug (Art. 146 StGB)
Einen Betrug begeht, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt (Art. 146 Abs. 1 StGB).
Damit eine Person wegen Betruges bestraft wird, müssen folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:
Die objektiven Tatbestandsmerkmale sind
- arglistige Täuschung
- Irrtum (als Folge der Täuschung)
- Vermögensdisposition (als Folge des Irrtums; bspw. Ausrichtung wirtschaftlicher Hilfe, auf die kein Anspruch bestanden hätte) und
- Vermögensschaden (als Folge der Vermögensdisposition).
Die subjektiven Tatbestandsmerkmale sind
- Vorsatz (Tat mit Wissen und Willen begehen oder die Verwirklichung der Tat zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen) und
- Absicht, sich selbst oder einen anderen zu bereichern.
Dabei muss die Täuschung arglistig sein. Eine Lüge allein reicht nicht aus, es muss sich um eine raffinierte Lüge handeln, die nicht durch einfache Kontrollmassnahmen erkannt werden kann. Wenn dem Sozialdienst ein Irrtum unterlaufen ist, handelt es sich nicht um einen Betrugsfall. Wenn der Irrtum hingegen wegen arglistiger, vorsätzlicher Täuschung zustande gekommen ist, kann es sich um einen Betrugsfall handeln.
Unrechtmässiger Bezug (Art. 148a StGB)
Eines unrechtmässigen Bezuges von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe macht sich strafbar, wenn jemand durch unwahre oder unvollständige Angaben, durch Verschweigen von Tatsachen oder in anderer Weise eine Behörde oder eine Sozialversicherung irreführt oder in einem Irrtum bestärkt, sodass er Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, die ihm oder dem andern nicht zustehen.
Damit eine Person wegen eines unrechtmässigen Bezuges von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bestraft werden kann, müssen folgende objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:
Die objektiven Tatbestandsmerkmale sind
- Täuschung
- Irrtum
- unrechtmässiger Bezug einer Sozialleistung.
Das subjektive Tatbestandsmerkmal ist
- Vorsatz: Der Täter oder die Täterin muss den objektiven Tatbestand mit Wissen und Willen erfüllen oder die Verwirklichung der Tat zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen (Art. 12 Abs. 2 StGB). Er/sie muss also wissen, dass er bzw. sie durch eine bestimmte Handlung oder Unterlassung einen Irrtum hervorruft oder bestärkt und er bzw. sie muss den Willen haben, dass eine Sozialleistung ausgerichtet wird, auf die kein Anspruch besteht.
Im Gegensatz zum Betrug wird hier keine Arglist vorausgesetzt. Ebenso entfällt bei Art. 148a StGB das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absicht der ungerechtfertigten Bereicherung.
Urkundenfälschung (Art. 251 StGB)
Der Urkundenfälschung macht sich strafbar, wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen,
- eine Urkunde fälscht oder verfälscht (Urkundenfälschung im engeren Sinn)
- die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützt (Blankettmissbrauch)
- eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt (Falschbeurkundung) oder
- eine Urkunde dieser Art zur Täuschung gebraucht.
3. Einreichen einer Strafanzeige
Die Strafanzeige ist von der zuständigen Stelle der Sozialregion einzureichen. Von welcher Person die Strafanzeige eingereicht wird, hängt von der Organisation des Sozialdienstes ab und ist je Sozialregion zu prüfen. Die SKOS empfiehlt die Strafanzeige nicht von der fallführenden Person unterzeichnen zu lassen (s.h. Praxishilfen). Ziel ist, Spannungen zwischen unterstützter und fallführender Person vorzubeugen.
Eine Strafanzeige ist schriftlich, mit folgenden Punkten, an die kantonale Staatsanwaltschaft einzureichen:
- Personalien: Name, Adresse, AHV-Nummer, Geburtsdatum
- Angaben zur geschädigten Sozialregion
- Deliktart: Aufführung, um welches Delikt es sich handelt (Betrug, unrechtmässiger Bezug oder Urkundenfälschung)
- Sachverhalt:
- Allgemeine Angaben zum Sozialhilfebezug (Beginn, Dauer, Umfang der bezogenen Leistungen)
- Zusammenfassender Sachverhalt über den unrechtmässigen Sozialhilfebezug
- Umfang des unrechtmässigen Leistungsbezugs/Deliktsumme
- Wie ist das Delikt zustande gekommen? Wie steht das Delikt im Verhältnis zur Lebenssituation?
- Unterschrift der zuständigen behördlichen Vertretungsperson
- Auskunftspersonen/Zeugen/-innen (z.B. fallführende Mitarbeitende, Leitungspersonen etc.)
Mit der Strafanzeige sind als Beilagen alle Unterlagen beizulegen, die den Sachverhalt untermauern (z.B. Einkommensbelege, Kontoauszüge, Verfügungen der Sozialbehörde, Einkommens- und Vermögensdeklarationen, vom Klienten / der Klientin unterschriebene Kenntnisnahme der Pflichten einer Sozialhilfe beziehenden Person, im Falle einer mutmasslichen Urkundenfälschung die in Frage stehende Urkunde etc.).
Entbindung der Schweigepflicht
Sozialarbeitende, die im Kanton Solothurn in Sozialregionen tätig sind, unterstehen dem Amtsgeheimnis und damit der Schweigepflicht (§ 19 SG). Bei einer Strafanzeige muss die unterschreibende Person von der vorgesetzten Behörde von der Schweigepflicht entbunden werden. Ansonsten macht sie sich allenfalls nach Art. 320 StGB strafbar.
Sonderregelungen Asyl
keine
Praxishilfen
SKOS-Dokument: Umsetzung der Ausschaffungsinitiative per 1. Oktober 2016
SKOS-Interview zum Thema Strafanzeige: «Wichtig ist, den Sachverhalt genau abzuklären.»: zeso-magazin (skos.ch)